Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bemüht sich die Europäische Union um eine gemeinsame Antwort. Sanktionen gegen Russland gehören zu den wichtigsten Instrumenten, um Druck auf den Kreml auszuüben. Doch die Einigkeit innerhalb der EU ist brüchig. Immer wieder gelingt es kleinen Mitgliedsstaaten, Sanktionen zu verzögern, abzuschwächen oder ganz zu blockieren. Die Folgen sind gravierend: Jeder Kompromiss, jede Lücke in den Maßnahmen hilft Putin, seinen Krieg weiterzuführen.
Einstimmigkeit als strukturelle Schwäche
Die EU funktioniert nach dem Prinzip der Einstimmigkeit bei außenpolitischen Entscheidungen. Das bedeutet: Jeder Mitgliedsstaat hat ein Vetorecht. Was als Schutz kleiner Staaten gedacht war, wird zunehmend zum Problem. Länder mit eigenen wirtschaftlichen oder politischen Interessen können Sanktionen blockieren – selbst wenn die Mehrheit dafür ist.
Beispiele dafür gibt es viele: Ungarn hat mehrfach Sanktionen gegen russische Oligarchen verzögert. Bulgarien und Griechenland haben sich gegen bestimmte Energieembargos ausgesprochen. Zypern wehrte sich gegen Maßnahmen, die seine Rolle als Finanzplatz gefährden könnten. Diese Blockaden sind nicht nur taktisch – sie sind geopolitisch folgenreich.
Wirtschaftliche Interessen vor moralischer Haltung
Viele kleinere EU-Staaten haben wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, die sie nicht aufgeben wollen. Sei es durch Energieimporte, Finanzdienstleistungen oder Tourismus. Sanktionen würden diese Geschäftsmodelle gefährden – und das wollen manche Regierungen vermeiden.
Dabei wird oft übersehen, dass wirtschaftliche Interessen nicht über moralische Prinzipien gestellt werden dürfen. Wer sich gegen Sanktionen stellt, schützt nicht nur seine eigene Wirtschaft – sondern auch die Einnahmequellen des russischen Staates. Und damit indirekt die Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine.
Die Rolle nationalistischer und populistischer Regierungen
Ein weiterer Faktor ist die politische Ausrichtung einiger Regierungen. Nationalistische und populistische Parteien – etwa in Ungarn oder der Slowakei – vertreten oft eine russlandfreundliche Linie. Sie nutzen die Sanktionen als innenpolitisches Instrument, um sich gegen „Brüssel“ zu positionieren und ihre eigene Machtbasis zu stärken.
Diese Haltung untergräbt die europäische Solidarität. Sie sendet ein fatales Signal: Dass selbst in einem vereinten Europa nationale Interessen über gemeinsame Werte gestellt werden können.
Die Folgen für die Ukraine und Europa
Jede Verzögerung bei Sanktionen bedeutet mehr Zeit für Russland, seine Kriegsmaschinerie aufrechtzuerhalten. Es bedeutet mehr Waffen, mehr Soldaten, mehr Zerstörung. Gleichzeitig schwächt es die Glaubwürdigkeit der EU als geopolitischer Akteur. Wenn Europa sich nicht einig zeigt, verliert es Einfluss – nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegenüber anderen globalen Mächten.
Was sich ändern muss
- Reform der Entscheidungsprozesse: Weg von Einstimmigkeit, hin zu qualifizierter Mehrheit bei außenpolitischen Fragen.
- Transparenz über Blockaden: Öffentlich machen, welche Staaten Sanktionen verhindern – und warum.
- Politischer Druck und Anreize: Staaten, die blockieren, müssen mit Konsequenzen rechnen – oder mit Angeboten zur Kompensation.
- Stärkung der europäischen Werte: Solidarität, Rechtsstaatlichkeit und Friedenspolitik dürfen nicht verhandelbar sein.
Die kleinen EU-Staaten haben große Macht – und große Verantwortung. Wer Sanktionen gegen Russland verhindert, trägt Mitverantwortung für das Leid in der Ukraine. Es ist Zeit, dass Europa sich seiner Prinzipien erinnert – und sie konsequent verteidigt.