In den dunklen Tiefen des Atlantiks schlummert ein gefährliches Erbe der Vergangenheit: Hunderttausende Fässer mit radioaktivem Abfall, die zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren von verschiedenen Staaten im Ozean versenkt wurden. Jahrzehntelang galten die Tiefseegebiete fernab menschlicher Siedlungen als vermeintlich sichere Müllkippen für nukleare Altlasten. Heute wissen wir: Diese Entscheidung war nicht nur naiv, sondern möglicherweise auch folgenschwer für das marine Ökosystem.
Die Suche beginnt – mit Hightech und internationalem Teamgeist
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des französischen CNRS hat sich nun aufgemacht, um diesem Kapitel der Geschichte auf den Grund zu gehen. Mit dem Forschungsschiff L’Atalante und dem autonomen Tauchroboter Ulyx erkunden sie das sogenannte Westeuropäische Becken – ein Gebiet im Nordostatlantik, das über 1.000 Kilometer westlich von La Rochelle liegt. Dort vermuten Expertinnen und Experten, dass etwa die Hälfte der insgesamt rund 200.000 Fässer abgeladen wurde.
Der Roboter Ulyx ist mit modernster Technik ausgestattet: 3D-Kameras, Sonarsysteme und Sensoren ermöglichen es, die Fässer in bis zu 6.000 Metern Tiefe zu orten und ihren Zustand zu dokumentieren. Ziel ist es, eine detaillierte Karte der Fundorte zu erstellen und gleichzeitig Proben von Wasser, Sedimenten und Meereslebewesen zu nehmen, um mögliche Auswirkungen auf das Ökosystem zu untersuchen.
Ein gefährliches Erbe
Die Fässer wurden damals so konstruiert, dass sie dem enormen Druck der Tiefsee standhalten – nicht jedoch, um die Radioaktivität dauerhaft einzuschließen. Laut dem Projektleiter Patrick Chardon vom NODSSUM-Projekt (Nuclear Ocean Dump Site Survey Monitoring) könnte bereits seit Jahren Radioaktivität aus den Behältern austreten. Zwar wird geschätzt, dass die Strahlung der meisten Abfälle nach 300 bis 400 Jahren weitgehend abgeklungen sein dürfte, doch bei etwa zwei Prozent des Mülls kann die Strahlungsdauer deutlich länger sein.
Die genaue Lage, Gruppierung und der Zustand der Fässer sind bislang weitgehend unbekannt. Das macht die Arbeit der Forschenden nicht nur zu einer technischen, sondern auch zu einer ökologischen Herausforderung. Denn die Tiefsee ist ein empfindliches Ökosystem, dessen Dynamiken wir bis heute nur ansatzweise verstehen.
Ein globales Problem mit politischer Dimension
Erst 1993 wurde die Entsorgung von Atommüll im Meer durch ein internationales Abkommen verboten. Doch das Verbot kam spät – zu spät für die Hunderttausenden Fässer, die bereits auf dem Meeresgrund liegen. Die aktuelle Expedition ist daher nicht nur ein wissenschaftliches Projekt, sondern auch ein Mahnmal für die Verantwortung der Menschheit im Umgang mit gefährlichen Stoffen.
Die Ergebnisse der Mission könnten weitreichende Konsequenzen haben: von der Neubewertung der Risiken über mögliche Bergungsstrategien bis hin zur politischen Diskussion über die Langzeitfolgen nuklearer Technologien. Klar ist: Was einst als einfache Lösung erschien, entpuppt sich heute als komplexes und potenziell gefährliches Problem.
Fazit
Die Entdeckung von über 1.000 Atommüll-Fässern im Atlantik ist ein Weckruf. Sie zeigt, wie wichtig es ist, sich nicht nur mit der Entsorgung von Atommüll an Land, sondern auch mit den Altlasten in unseren Ozeanen auseinanderzusetzen. Die Tiefsee ist kein unsichtbarer Mülleimer – sie ist ein Teil unseres Planeten, den wir schützen müssen. Die laufende Forschung ist ein erster, aber entscheidender Schritt in diese Richtung.