Stromsteuer-Streit: Wenn Wahlversprechen an der Realität zerschellen

26 Juni, 2025

Die Bundesregierung steht unter Druck – nicht nur wegen wirtschaftlicher Flaute und hoher Energiepreise, sondern auch wegen eines gebrochenen Versprechens, das viele Bürgerinnen und Bürger als Vertrauensbruch empfinden: Die Stromsteuer wird nicht wie angekündigt für alle gesenkt. Stattdessen profitieren vorerst nur Industrie und Landwirtschaft. Was steckt hinter dieser Entscheidung – und was bedeutet sie für Verbraucher, Mittelstand und die politische Glaubwürdigkeit?

Ein Versprechen mit kurzer Halbwertszeit

Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD noch groß angekündigt, die Stromsteuer für alle – also auch für Privathaushalte, Handwerk und Dienstleister – auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Cent pro Kilowattstunde zu senken. Derzeit liegt sie bei 2,05 Cent – ein erheblicher Unterschied, der sich spürbar auf die Stromrechnung auswirkt.

Doch nun die Kehrtwende: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) erklärten, dass die Senkung nur für energieintensive Industriebetriebe sowie die Land- und Forstwirtschaft gelten soll. Begründung: Haushaltszwänge und fehlender finanzieller Spielraum.

Kritik von allen Seiten

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Verbraucherschützer, Handwerksverbände und Oppositionsparteien sprechen von einem „Wortbruch“. Ramona Pop vom Verbraucherzentrale Bundesverband warnte vor einem „immensen Vertrauensverlust“. Auch die Grünen, die sich für eine sozial gerechte Energiewende einsetzen, kritisieren die Entscheidung scharf. Felix Banaszak, Parteivorsitzender, warf der Regierung vor, Klimaschutz und soziale Entlastung gleichzeitig zu torpedieren.

Selbst innerhalb der Koalition rumort es. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte öffentlich eine Rückkehr zur ursprünglichen Vereinbarung – auch mit Blick auf die Akzeptanz der Energiewende.

Die soziale Schieflage

Besonders bitter ist die Entscheidung für einkommensschwache Haushalte. Laut dem Freiburger Öko-Institut können rund 10 Prozent der deutschen Haushalte ihre Wohnungen nicht ausreichend heizen oder sind durch Energiekosten stark belastet. Die hohen Strompreise gelten zudem als Hemmschuh für den Umstieg auf klimafreundliche Technologien wie Wärmepumpen oder Elektroautos.

Die geplante Entlastung durch die Abschaffung der Gasspeicherumlage und eine Senkung der Netzentgelte ab 2026 wird als unzureichend bewertet – nicht zuletzt, weil sie erst in der Zukunft greift und die Stromsteuer unangetastet bleibt.

Industriepolitik vs. Bürgerinteressen

Die Entscheidung offenbart ein strukturelles Dilemma: Die Bundesregierung will die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie stärken – ein legitimes Ziel angesichts der wirtschaftlichen Lage. Doch wenn dies auf Kosten der breiten Bevölkerung geschieht, droht eine soziale und politische Schieflage. Der Eindruck verfestigt sich, dass große Unternehmen bevorzugt behandelt werden, während Bürgerinnen und Bürger sowie kleine Betriebe auf der Strecke bleiben.

Was bleibt?

Die Stromsteuer-Debatte ist mehr als ein finanzpolitisches Detail. Sie ist ein Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der Regierung und die soziale Balance der Energiewende. Wenn politische Versprechen nicht eingehalten werden, leidet nicht nur das Vertrauen – sondern auch die Bereitschaft der Bevölkerung, notwendige Veränderungen mitzutragen.

Die Bundesregierung steht nun vor der Aufgabe, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ob das gelingt, wird sich nicht nur an der Stromrechnung zeigen – sondern auch an der nächsten Wahlurne.

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