Die vergessene Gefahr: Munition in den Meeren

9 Juni, 2025

Dieses Beitrag beleuchtet die oft übersehene Bedrohung durch versenkte Kriegsmunition in unseren Weltmeeren. Es analysiert den historischen Hintergrund, das Ausmaß des Problems, die verschiedenen Munitionsarten und ihre spezifischen Risiken sowie die Umweltauswirkungen. Weiterhin werden technische Herausforderungen bei der Bergung, aktuelle Forschungsprojekte, rechtliche und finanzielle Aspekte sowie Zukunftsstrategien für eine nachhaltige Lösung dieser ökologischen Zeitbombe erörtert.

Historischer Hintergrund: Versenkte Kriegsmunition nach den Weltkriegen

Nach dem Ende der beiden Weltkriege standen die beteiligten Nationen vor einem enormen Problem: Wohin mit den gigantischen Mengen an nicht mehr benötigter oder beschädigter Munition? Die zunächst praktisch erscheinende Lösung war das Versenken im Meer – weit weg von bewohnten Gebieten und außer Sichtweite der Bevölkerung.

Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwischen 1945 und 1948 systematische Versenkungsaktionen durchgeführt. Allein in der Nord- und Ostsee wurden schätzungsweise 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition und etwa 230.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe versenkt. Die Operation “Davy Jones’ Locker” der Alliierten beispielsweise führte zur Versenkung von Tausenden Tonnen Giftgasmunition in der Ostsee.

Die Versenkungsgebiete wurden oft nur grob dokumentiert. Manche Schiffe entledigten sich ihrer gefährlichen Ladung bereits auf dem Weg zu den designierten Arealen, um Zeit und Treibstoff zu sparen. Zudem wurden in den Nachkriegsjahren auch private Unternehmen mit der Munitionsentsorgung beauftragt, deren Aktivitäten kaum überwacht wurden. Es existieren daher nur unvollständige Aufzeichnungen über die genauen Versenkungsorte und -mengen.

1918-1920 – Erste große Munitionsversenkungen nach dem Ersten Weltkrieg

1945-1948 – Hauptphase der Munitionsversenkungen nach dem Zweiten Weltkrieg

1972 – Londoner Übereinkommen verbietet das Versenken von Munition im Meer

Ab 1990 – Zunehmende wissenschaftliche Untersuchungen zu Umweltauswirkungen

Die damalige Entscheidung zur Meeresversenkung erfolgte aus pragmatischen Gründen und im Glauben, dass die Tiefe der Meere und die Korrosionsbeständigkeit der Metallummantelungen die Gefahr auf ein Minimum reduzieren würden. Das Wissen um marine Ökosysteme und die Langzeitfolgen von Schadstoffeinträgen war begrenzt, und man ging davon aus, dass die “Selbstheilungskräfte” der Ozeane ausreichen würden, um eventuelle Probleme zu bewältigen. Diese Fehleinschätzung stellt uns heute vor eine komplexe ökologische Herausforderung.

Dimensionen des Problems: Umfang und Standorte der Munitionsaltlasten

Die Dimensionen des Problems der Munitionsaltlasten in den Weltmeeren sind erschreckend. Nach aktuellen Schätzungen befinden sich weltweit über 1,6 Millionen Tonnen konventioneller und etwa 300.000 Tonnen chemischer Munition auf dem Meeresgrund. Allein in deutschen Gewässern werden bis zu 1,3 Millionen Tonnen Kampfmittel vermutet.

Die Konzentration der Munitionsaltlasten variiert je nach Region erheblich. Die Ostsee gilt als besonders stark belastet, mit bekannten Hauptversenkungsgebieten östlich von Bornholm, in der Lübecker Bucht und im Kleinen Belt. In der Nordsee befinden sich große Munitionsdepots vor Helgoland und im Skagerrak. Weltweit gibt es Hunderte offiziell dokumentierte Versenkungsgebiete, wobei die tatsächliche Zahl aufgrund lückenhafter historischer Aufzeichnungen vermutlich deutlich höher liegt.

1,6 Mio

Tonnen

Geschätzte Menge an konventioneller Munition in Weltmeeren

300.000

Tonnen

Geschätzte Menge an chemischer Munition in Weltmeeren

50+

Hauptversenkungsgebiete

Bekannte große Munitionsdeponien in Nord- und Ostsee

70+

Jahre

Zeitraum seit Beginn der systematischen Versenkungen

Besonders problematisch ist die Tatsache, dass viele Munitionskörper durch Meeresströmungen, Fischereiaktivitäten und natürliche Prozesse weit über die ursprünglichen Versenkungsgebiete hinaus verteilt wurden. Zudem wurden kleinere Mengen auch in Küstennähe und Flussmündungen entsorgt, wo sie heute eine direkte Gefahr für den Tourismus, die Fischerei und Infrastrukturprojekte wie Offshore-Windparks oder Unterseekabel darstellen.

Die Dokumentation der bekannten Standorte erfolgt heute in internationalen Datenbanken wie AMUCAD (Ammunition Cadastre Sea) oder DAIMON (Decision Aid for Marine Munitions). Diese helfen, Risikobewertungen vorzunehmen und Prioritäten für Bergungsarbeiten zu setzen. Aufgrund der enormen Menge und weiten Verbreitung der Munitionsaltlasten ist eine vollständige Erfassung allerdings nahezu unmöglich, was die Komplexität des Problems zusätzlich erhöht.

Chemische und konventionelle Munition: Unterschiede und spezifische Risiken

Konventionelle Munition

Konventionelle Munition umfasst primär Sprengkörper wie Bomben, Granaten, Torpedos und Seeminen. Diese enthalten Explosivstoffe wie TNT, Hexogen (RDX) oder Pikrinsäure. Trotz jahrzehntelanger Lagerung im Meerwasser behalten viele dieser Sprengstoffe ihre explosive Wirkung bei und können bei mechanischer Einwirkung oder spontan detonieren.

  • Enthält Explosivstoffe wie TNT, RDX, Pikrinsäure
  • Gefahr durch mögliche Detonation
  • Kontinuierliche Freisetzung toxischer Abbauprodukte
  • Korrosion setzt Schwermetalle wie Quecksilber und Blei frei

Chemische Munition

Chemische Munition enthält Kampfstoffe wie Senfgas (Lost), Phosgen, Clark oder Tabun. Diese Substanzen wurden entweder in Granaten abgefüllt oder in Fässern versenkt. Im Gegensatz zu konventioneller Munition liegt die Hauptgefahr nicht in der Explosion, sondern in der toxischen Wirkung der austretenden Kampfstoffe auf Mensch und Umwelt.

  • Enthält Kampfstoffe wie Senfgas, Phosgen, Tabun
  • Primäre Gefahr durch toxische Kontamination
  • Bildung hochgiftiger Abbauprodukte
  • Besonders langfristige Persistenz im Sediment

Die spezifischen Risiken variieren je nach Munitionstyp erheblich. Bei konventioneller Munition besteht neben der Explosionsgefahr das Problem der kontinuierlichen Freisetzung von Sprengstoffen und deren Abbauprodukten durch Korrosion. TNT und seine Derivate sind krebserregend und können sich in der marinen Nahrungskette anreichern. Zusätzlich enthalten viele Munitionskörper Schwermetalle wie Quecksilber, Blei und Arsen, die durch Korrosion freigesetzt werden.

Chemische Kampfstoffe zeichnen sich durch eine besondere Persistenz aus. Senfgas beispielsweise bildet im kalten Meerwasser eine zähflüssige Substanz, die nur langsam abgebaut wird und über Jahrzehnte toxisch bleibt. Besonders problematisch sind Klumpen von Kampfstoffen, sogenannter “Gelbkreuz-Kuchen”, die an Strände angespült werden können. Beim Kontakt mit diesen Substanzen drohen schwere Verätzungen und Vergiftungen.

Die Munitionsaltlasten stellen somit ein doppeltes Risiko dar: akute Gefahren durch mögliche Explosionen oder direkte Kontamination sowie chronische Umweltbelastungen durch die kontinuierliche Freisetzung giftiger Substanzen. Die Risikoeinschätzung wird zusätzlich durch den unterschiedlichen Erhaltungszustand der Munitionskörper erschwert, der von nahezu intakt bis vollständig korrodiert reichen kann.

Umweltauswirkungen: Kontamination von Meeresboden und Meereslebewesen

Die ökologischen Konsequenzen der Munitionsaltlasten in unseren Meeren werden mit fortschreitender Korrosion der Metallhüllen immer deutlicher sichtbar. Nach über 70 Jahren im Salzwasser sind viele Munitionskörper mittlerweile stark beschädigt, wodurch toxische Inhaltsstoffe kontinuierlich in die Meeresumwelt entweichen. Diese schleichende Vergiftung stellt eine der größten Herausforderungen dar.

Kontamination des Sediments

Die freigesetzten Sprengstoffe und chemischen Kampfstoffe lagern sich im Meeresboden ab und bilden “Hot Spots” mit extrem hohen Schadstoffkonzentrationen. In der Umgebung von versenkter TNT-Munition wurden Konzentrationen von bis zu 10.000 mg/kg im Sediment gemessen – ein Wert, der die Grenzwerte für kontaminierte Böden um das Tausendfache übersteigt.

Auswirkungen auf marine Organismen

Forschungsstudien belegen gravierende Effekte auf Meereslebewesen. Bei Muscheln und Fischen in betroffenen Gebieten wurden erhöhte Krebsraten, Genveränderungen, Fortpflanzungsstörungen und Missbildungen nachgewiesen. Besonders besorgniserregend ist die bioakkumulative Wirkung vieler Munitionschemikalien, die sich in der Nahrungskette anreichern können.

Veränderung von Lebensräumen

Munitionskörper auf dem Meeresboden fungieren als künstliche Riffe und werden von sessilen Organismen besiedelt. Diese neuen Mikrohabitate scheinen auf den ersten Blick die Biodiversität zu erhöhen, führen jedoch zu einer Verfälschung der natürlichen Ökosystemstrukturen und können als “ökologische Falle” wirken, wenn sich die Organismen auf toxischem Substrat ansiedeln.

Die Umweltauswirkungen variieren je nach Munitionstyp und lokalen Bedingungen erheblich. Bei konventioneller Munition sind es vor allem die Abbauprodukte des TNT wie Dinitrotoluole und Aminodinitrotoluole, die als Umweltgifte wirken. Diese Substanzen sind schwer abbaubar und können im Sediment über Jahrzehnte persistieren. Untersuchungen zeigen, dass sie das Erbgut schädigen und hormonähnliche Wirkungen entfalten können.

Bei chemischer Munition sind die Auswirkungen noch gravierender. Kampfstoffe wie Senfgas bilden im Meerwasser Hydrolyseprodukte, die oft ebenso toxisch sind wie die Ausgangssubstanzen. Arsenkampfstoffe wie Clark oder Adamsit reichern sich in marinen Organismen an und können über den Verzehr belasteter Fische und Meeresfrüchte in die menschliche Nahrungskette gelangen.

Besorgniserregend ist auch die geografische Ausbreitung der Kontamination. Durch Meeresströmungen, Bioturbation und menschliche Aktivitäten wie Fischerei mit Grundschleppnetzen werden kontaminierte Sedimente aufgewirbelt und die Schadstoffe in bisher unbelastete Gebiete transportiert. Neuere Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass die Kontaminationszonen wesentlich größer sind als die eigentlichen Versenkungsgebiete, was auf eine fortschreitende Ausbreitung der Problematik hindeutet.

Technische Herausforderungen bei der Bergung von Munitionsaltlasten

Die Bergung und Entsorgung von Munitionsaltlasten aus den Meeren stellt eine enorme technische Herausforderung dar. Die Komplexität ergibt sich aus der Kombination verschiedener Faktoren wie der schwierigen Umgebungsbedingungen unter Wasser, dem oft kritischen Zustand der Munitionskörper und den strengen Sicherheitsanforderungen zum Schutz von Mensch und Umwelt.

Detektion und Identifikation

Hochauflösende Sonarsysteme, magnetische Messungen und autonome Unterwasserfahrzeuge (AUVs) kommen zum Einsatz, um Munition am Meeresboden aufzuspüren. Die Unterscheidung zwischen Munition und anderen metallischen Objekten bleibt jedoch schwierig.

Bergung

Spezialisierte Unterwasserroboter (ROVs) mit anpassbaren Greifarmen müssen eingesetzt werden, um korrodierte Munition sicher zu bergen. Selbst kleinste Erschütterungen können zu Detonationen oder zum Austreten giftiger Substanzen führen.

Transport

Der sichere Transport geborgener Munition erfordert druckfeste, chemikalienresistente Spezialbehälter. Da das Kontaminationsrisiko mit jeder Handhabung steigt, ist die Minimierung von Transportbewegungen entscheidend.

Entsorgung

Die Entsorgung erfolgt durch kontrollierte Sprengungen in speziellen Kammern oder durch chemisch-thermische Verfahren. Für chemische Kampfstoffe sind besonders aufwendige Neutralisationsverfahren notwendig.

Eine besondere Schwierigkeit stellt der fortgeschrittene Korrosionszustand vieler Munitionskörper dar. Nach 70-100 Jahren im Salzwasser sind viele Objekte strukturell so geschwächt, dass sie bei einer Bergung auseinanderbrechen könnten. Dies erhöht das Risiko einer unkontrollierten Freisetzung von Explosivstoffen oder chemischen Kampfstoffen erheblich. Es müssen daher Bergungstechniken entwickelt werden, die den Druck auf die Munitionskörper minimieren.

In Küstennähe und bei geringen Wassertiefen kommen häufig professionelle Taucher zum Einsatz. Diese Einsätze sind jedoch aufgrund der Dekompressionszeiten, der begrenzten Sichtweite und der permanenten Gefahr einer Detonation oder Kontamination extrem risikoreich. In größeren Tiefen oder bei besonders gefährlicher Munition ist der Einsatz von ferngesteuerten oder autonomen Robotersystemen alternativlos.

Die Forschung konzentriert sich zunehmend auf innovative Lösungsansätze wie In-situ-Verfahren, bei denen die Munition direkt am Meeresgrund neutralisiert wird, ohne sie bergen zu müssen. Hierbei kommen robotische Systeme zum Einsatz, die die Munitionshülle durchbohren und den Inhalt durch Einbringen neutralisierender Chemikalien unschädlich machen. Solche Verfahren stecken jedoch noch in der Entwicklungsphase und sind nicht für alle Munitionstypen geeignet.

Aktuelle Forschungsprojekte und internationale Zusammenarbeit

Angesichts der grenzüberschreitenden Natur des Problems ist internationale Forschungskooperation unerlässlich. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche multilaterale Projekte etabliert, die verschiedene Aspekte der Munitionsaltlasten in den Meeren untersuchen und Lösungsansätze entwickeln.

DAIMON-Projekt (Decision Aid for Marine Munitions)

Ein EU-finanziertes Forschungsprojekt, das Entscheidungshilfen für den Umgang mit versenkter Munition entwickelt. DAIMON hat ein umfassendes Risikobewertungssystem geschaffen, das ökologische, ökonomische und sicherheitsrelevante Faktoren berücksichtigt und Empfehlungen für die bestmögliche Handlungsoption (Belassen, Überwachen, Bergen) liefert.

ROBEMM (Robotic Environmental Monitoring in Munition-contaminated Areas)

Ein deutsch-polnisches Forschungsprojekt, das autonome Unterwasserroboter für das kontinuierliche Monitoring von Munitionsversenkungsgebieten entwickelt. Diese Roboter können selbständig Proben nehmen, chemische Analysen durchführen und Veränderungen im Korrosionszustand der Munition dokumentieren.

BASTA (Boost Applied munition detection through Smart data inTegration and AI workflows)

Dieses Projekt nutzt künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, um die Detektion von Munitionsaltlasten zu verbessern. Durch die Integration verschiedener Datenquellen wie Sonar, Magnetometrie und optischer Bildgebung erreicht BASTA eine deutlich höhere Erkennungsrate als herkömmliche Methoden.

Neben diesen spezifischen Projekten haben sich auch dauerhafte internationale Kooperationsstrukturen etabliert. Die HELCOM-Expertengruppe für Umweltrisiken durch versunkene chemische Munition in der Ostsee bringt Experten aus allen Ostseeanrainerstaaten zusammen und koordiniert nationale Forschungsaktivitäten. Im Nordatlantikraum erfüllt die OSPAR-Kommission eine ähnliche Funktion.

Ein besonders innovativer Forschungsansatz ist die Entwicklung biologischer Indikatorsysteme zur Überwachung der Umweltbelastung. Hierbei werden spezielle Muschel- oder Schwammarten als “Biomonitore” eingesetzt, die Schadstoffe aus dem Wasser filtern und anreichern. Durch regelmäßige Analyse dieser Organismen können selbst geringe Konzentrationen von Munitionschemikalien nachgewiesen und ihre Ausbreitung verfolgt werden.

Die internationale Zusammenarbeit umfasst auch den Wissenstransfer und die Standardisierung von Verfahren. Regelmäßige Konferenzen wie das “International Symposium on Sea-Dumped Munitions” fördern den Austausch zwischen Wissenschaftlern, Behörden und spezialisierten Unternehmen. Gemeinsame Datenbanken wie das “Ammunition Cadastre Sea” ermöglichen den grenzüberschreitenden Zugriff auf relevante Informationen und bilden die Grundlage für koordinierte Bergungsaktionen.

Rechtliche und finanzielle Aspekte der Munitionsbeseitigung

Die Beseitigung von Munitionsaltlasten in den Meeren ist nicht nur eine technische, sondern auch eine komplexe rechtliche und finanzielle Herausforderung. Die Frage nach der Verantwortlichkeit und Kostenübernahme steht dabei im Zentrum der Diskussionen.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die rechtliche Situation ist durch ein komplexes Geflecht nationaler und internationaler Regelungen gekennzeichnet. Grundsätzlich gilt das Verursacherprinzip, nach dem derjenige für die Beseitigung verantwortlich ist, der die Munition versenkt hat. In der Praxis ist dies jedoch oft schwer durchsetzbar, da:

  • Die Versenkungen teilweise vor mehr als 75 Jahren stattfanden
  • Einige verantwortliche Staaten nicht mehr existieren (z.B. das Deutsche Reich)
  • Viele Versenkungen auf Anordnung der Alliierten nach dem Kriegsende erfolgten
  • Die genaue Herkunft der Munition oft nicht mehr nachweisbar ist

International relevante Abkommen wie die Helsinki-Konvention für den Ostseeraum, die OSPAR-Konvention für den Nordostatlantik und die UN-Seerechtskonvention bilden den übergeordneten Rahmen, innerhalb dessen nationale Gesetze und Verordnungen greifen.

Finanzielle Dimension

Die Kosten für eine umfassende Beseitigung der Munitionsaltlasten sind immens:

  • Die Gesamtkosten werden auf 30-100 Milliarden Euro geschätzt
  • Pro Tonne Munition fallen je nach Komplexität 2.500-25.000 Euro an
  • Ausgaben für kontinuierliches Monitoring belaufen sich auf ca. 5 Millionen Euro jährlich pro Versenkungsgebiet
  • Einzelne Bergungsprojekte wie die Räumung des Kolberger Tiefs kosten über 50 Millionen Euro

Die Finanzierung erfolgt derzeit überwiegend aus öffentlichen Mitteln, wobei die Belastung ungleich verteilt ist. Besonders betroffene Küstenländer wie Deutschland, Dänemark und Polen tragen einen überproportionalen Anteil. Innovative Finanzierungsmodelle wie öffentlich-private Partnerschaften oder spezielle Umweltfonds werden zunehmend diskutiert.

LandJährliches Budget (Mio. €)BergungsprojekteRechtlicher Rahmen
Deutschland10-15Kolberger Tief, Lübecker BuchtKampfmittelverordnungen der Küstenländer
Dänemark5-8Kleiner Belt, Bornholm-BeckenNationales Aktionsprogramm
Polen3-5Danziger Bucht, Gotland-BeckenStrategischer Plan 2020-2030
Schweden2-4Gotland-Becken, Åland-SeeMaritime Umweltschutzgesetze

Eine besondere rechtliche Herausforderung stellt die Munitionsbeseitigung in internationalen Gewässern dar, wo keine eindeutige nationale Zuständigkeit besteht. Hier sind multilaterale Abkommen und Kooperationen unerlässlich. Die Europäische Union hat mit dem Maritime Strategy Framework einen Koordinierungsmechanismus geschaffen, der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit fördert und Finanzmittel aus verschiedenen EU-Programmen bündelt.

Zunehmend wird auch der “Polluter Pays Principle” diskutiert, wonach die Staaten, die für die Versenkung verantwortlich waren, auch für die Bergungskosten aufkommen sollten. Die praktische Umsetzung dieses Prinzips ist jedoch durch völkerrechtliche Hürden und historische Vereinbarungen wie die Pariser Reparationskonferenz erschwert.

Zukunftsperspektiven: Strategien für eine nachhaltige Lösung des Problems

Die nachhaltige Lösung des Problems der Munitionsaltlasten in den Meeren erfordert einen langfristigen, koordinierten Ansatz, der technologische Innovationen, internationale Zusammenarbeit und angemessene Finanzierung kombiniert. Angesichts der Dimension der Herausforderung ist klar, dass nicht alle Munition kurzfristig geborgen werden kann. Stattdessen bedarf es einer differenzierten Strategie mit klaren Prioritäten.

Vollständige Lösung

Langfristige Beseitigung aller Munitionsaltlasten

Gezielte Bergung

Priorisierte Räumung besonders gefährlicher Hotspots

Risikominimierung

Überwachung und Sicherung zur Verhinderung akuter Gefahren

Erfassung und Monitoring

Vollständige Kartierung und kontinuierliche Überwachung aller Standorte

Ein vielversprechender Ansatz ist die Entwicklung von Entscheidungshilfesystemen, die auf Basis wissenschaftlicher Kriterien die Dringlichkeit von Bergungsmaßnahmen bewerten. Faktoren wie Korrosionszustand, Nähe zu sensiblen Ökosystemen, wirtschaftliche Nutzung der betroffenen Gebiete und potenzielle Expositionspfade fließen in die Bewertung ein. So können begrenzte Ressourcen optimal eingesetzt werden.

Technologisch zeichnen sich mehrere zukunftsweisende Entwicklungen ab:

Autonome Bergungssysteme

Schwärme spezialisierter Unterwasserdrohnen, die selbständig Munition identifizieren, bergen und in sichere Behälter überführen können, ohne menschliches Eingreifen zu erfordern. Diese Systeme könnten kontinuierlich und unter allen Wetterbedingungen arbeiten.

Biologische Remediationsverfahren

Speziell gezüchtete Mikroorganismen, die Sprengstoffe und chemische Kampfstoffe abbauen können. Erste Laborversuche mit TNT-abbauenden Bakterien zeigen vielversprechende Ergebnisse für In-situ-Sanierungen stark kontaminierter Sedimente.

Kreislaufwirtschaftliche Ansätze

Verfahren zur Rückgewinnung wertvoller Metalle aus geborgener Munition, um einen Teil der Bergungskosten zu refinanzieren. Besonders die enthaltenen Kupfer-, Zink- und Bleilegierungen könnten nach entsprechender Dekontamination wiederverwertet werden.

Entscheidend für den langfristigen Erfolg wird die Institutionalisierung des Problems sein. Die Einrichtung einer internationalen Agentur für Munitionsaltlasten könnte die notwendige Kontinuität und Verbindlichkeit schaffen. Diese Agentur könnte Standards setzen, Forschung koordinieren, Finanzierungsmechanismen entwickeln und als zentrale Wissensdatenbank dienen.

Letztlich wird die erfolgreiche Bewältigung dieses komplexen Umweltproblems davon abhängen, ob es gelingt, das öffentliche Bewusstsein zu schärfen und politischen Handlungsdruck aufzubauen. Die Munitionsaltlasten in unseren Meeren sind ein mahnendes Beispiel dafür, wie kurzfristige Lösungen langfristige Umweltprobleme schaffen können – eine Lektion, die auch für heutige Entscheidungen in der Umwelt- und Sicherheitspolitik relevant bleibt.

Vorheriger Beitrag

Die Folgen der Kreuzfahrt auf die Ozeane: Eine Umweltbilanz

Nächster Beitrag

Die verheerenden Auswirkungen von Plastikmüll in unseren Ozeanen

GeheNach oben