Kaffee mit Fairtrade- oder Rainforest-Alliance-Siegel steht für viele Konsument*innen für Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Transparenz. Doch eine aktuelle Recherche von *Report Mainz* und der brasilianischen NGO Repórter Brasil erschüttert dieses Vertrauen: Auf mehreren zertifizierten Kaffeeplantagen in Kolumbien herrschen offenbar ausbeuterische Arbeitsbedingungen – trotz ethischer Siegel und internationaler Standards.
Harte Arbeit, kaum Rechte
Die Recherche deckt auf, dass auf vier untersuchten Farmen in den Regionen Antioquia und Huila – darunter Finca Los Naranjos, La Siberia, San Fernando und La Arboleda – gravierende Missstände herrschen. Viele Arbeiterinnen, darunter zahlreiche Migrantinnen aus Venezuela, berichten von extrem langen Arbeitstagen, fehlenden Arbeitsverträgen und Löhnen unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Auf der Farm San Fernando etwa verdienen Pflücker umgerechnet weniger als 7 € pro Tag – bei einem kolumbianischen Mindestlohn von rund 300 € im Monat.
Leben unter prekären Bedingungen
Auch die Unterbringung der Arbeiter*innen ist erschreckend: Überfüllte Schlafräume, schlechte Belüftung, keine Privatsphäre. Auf der Finca Los Naranjos hängen Arbeiter Kaffeesäcke als Vorhänge zwischen den Betten auf, um sich etwas Rückzug zu schaffen. Sanitäre Anlagen sind oft improvisiert, Duschen fehlen oder bestehen nur aus kaltem Wasser aus einem Rohr.
Zertifizierungen unter Druck
Besonders brisant: Einige der betroffenen Farmen sind Teil von Kooperativen, die Fairtrade- oder Rainforest-Alliance-zertifiziert sind. Auch Siegel wie 4C oder C.A.F.E. Practices (Starbucks) wurden auf den Eingangsschildern dokumentiert. Die Zertifizierer kündigten auf Nachfrage Überprüfungen an – doch das wirft die Frage auf, wie effektiv die bisherigen Kontrollen waren und ob die Siegel tatsächlich halten, was sie versprechen.
Ein strukturelles Problem
Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten rund 85 % der Beschäftigten im kolumbianischen Kaffeesektor informell – ohne Vertrag, Versicherung oder soziale Absicherung. Die Projektkoordinatorin der ILO in Kolumbien, Paola Campuzano, bringt es auf den Punkt: „Unser Kaffeesektor hat eine fast 300-jährige Geschichte, und wir haben es immer noch nicht geschafft, faire Arbeitsbedingungen für Kaffeeproduzenten und Pflücker zu schaffen“.
Verantwortung in der Lieferkette
Große Händler wie Starbucks, Tchibo, Nestlé oder Aldi betonen, derzeit keinen Kaffee von den betroffenen Farmen zu beziehen. Doch durch komplexe Lieferketten ist oft nicht nachvollziehbar, woher der Rohkaffee tatsächlich stammt. Die Logos auf den Plantagen sind teils veraltet, frühere Zertifizierungen ausgelaufen – Transparenz sieht anders aus.
Ein Weckruf für Konsum und Kontrolle
Diese Enthüllungen zeigen: Zertifizierungen allein reichen nicht aus. Es braucht unabhängige, unangekündigte Kontrollen, klare Sanktionen bei Verstößen und gesetzlich verankerte Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette. Auch Konsument*innen sind gefragt, kritisch zu hinterfragen, was hinter dem Siegel steckt – und ob der Preis im Regal wirklich den wahren Wert der Arbeit widerspiegelt.