Russisches LNG trotz Sanktionen: Europas Energie-Dilemma

27 Juni, 2025

Trotz der massiven Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine fließt weiterhin russisches Flüssigerdgas (LNG) nach Europa – und das in beachtlichem Umfang. Eine aktuelle Recherche von Tagesschau und SWR zeigt, wie Unternehmen wie Novatek und Gazprom über Umwege weiterhin Milliarden mit LNG-Exporten verdienen – auch mit stillschweigender Duldung europäischer Staaten. Was bedeutet das für die Glaubwürdigkeit der Sanktionen, die Energiewende und die geopolitische Position Europas?

Die Schlupflöcher der Sanktionen

Während Pipeline-Gas aus Russland weitgehend sanktioniert ist, gilt das für LNG bislang nicht in gleichem Maße. Das hat zur Folge, dass Russland seine Gasexporte zunehmend auf LNG verlagert – ein Geschäft, das sich als äußerst lukrativ erweist. Laut Recherchen importierte die EU allein 2024 rund 17 Millionen Tonnen russisches LNG – ein Rekordwert.

Besonders brisant: Ein Großteil dieser Lieferungen läuft über den belgischen Hafen Zeebrugge, wo russisches LNG umgeschlagen und weiterverteilt wird – auch nach Deutschland. Dabei spielt das Unternehmen Novatek eine zentrale Rolle. Es ist nach Gazprom der zweitgrößte Gasexporteur Russlands und betreibt unter anderem die riesige LNG-Anlage auf der sibirischen Halbinsel Yamal.

Die Rolle westlicher Konzerne

Ein weiterer Aspekt, der die Debatte anheizt, ist die Beteiligung westlicher Unternehmen an russischen LNG-Projekten. So ist etwa der französische Energiekonzern TotalEnergies an der Yamal-Anlage beteiligt. Diese wirtschaftlichen Verflechtungen erschweren eine konsequente Sanktionspolitik – und werfen Fragen nach der moralischen Verantwortung europäischer Unternehmen auf.

Milliarden für Putins Kriegskasse

Die Einnahmen aus dem LNG-Geschäft fließen direkt in den russischen Staatshaushalt – und damit auch in die Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine. Allein aus dem Europa-Geschäft mit LNG soll Novatek 2024 rund 8 Milliarden Euro eingenommen haben . Insgesamt flossen laut Schätzungen etwa 12,5 Milliarden Euro aus dem Gasgeschäft nach Russland – trotz Sanktionen.

Die EU zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis 2027 vollständig unabhängig von russischem Gas zu werden. Doch die Realität sieht anders aus: Während die Importe von Pipeline-Gas zurückgehen, steigen die LNG-Importe aus Russland weiter an. Das untergräbt nicht nur die Glaubwürdigkeit der Sanktionen, sondern auch die energiepolitische Souveränität Europas.

Ein Vorschlag der EU-Kommission sieht nun vor, kurzfristige LNG-Lieferungen aus Russland ab 2025 zu verbieten und langfristige Verträge bis 2027 auslaufen zu lassen. Doch ob dieser Plan politisch durchsetzbar ist, bleibt fraglich – zu groß sind die wirtschaftlichen Interessen und die Abhängigkeit vieler Mitgliedsstaaten.

Symbolpolitik statt Konsequenz: Ein gefährliches Signal

Dass die Europäische Union die bestehenden Sanktionen lediglich verlängert, anstatt sie entschlossen zu verschärfen, sendet ein katastrophales politisches Signal – nicht nur an Russland, sondern auch an die internationale Gemeinschaft. Es vermittelt den Eindruck, dass wirtschaftliche Interessen über moralische Prinzipien gestellt werden und untergräbt damit die Glaubwürdigkeit der EU als wertebasierte Gemeinschaft. In einer Zeit, in der Geschlossenheit und Entschlossenheit gefragt wären, wirkt diese politische Halbherzigkeit wie eine Einladung an autoritäre Regime, europäische Sanktionen als verhandelbar und kalkulierbar zu betrachten. Wer an den Pranger stellt, muss auch bereit sein, durchzuziehen – sonst verliert nicht nur die Ukraine an Rückhalt, sondern auch Europa an Vertrauen und Einfluss.

Ein moralischer Kompass für die Energiepolitik

Die aktuelle Situation zeigt: Sanktionen allein reichen nicht aus, wenn sie durch wirtschaftliche Interessen ausgehöhlt werden. Europa steht vor der Herausforderung, seine Energieversorgung nicht nur klimafreundlich, sondern auch geopolitisch verantwortungsvoll zu gestalten. Dazu gehört auch, sich ehrlich zu machen: Wer LNG aus Russland importiert, trägt indirekt zur Finanzierung eines Angriffskriegs bei.

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