Wenn Autoritäten den Boden unter den Füßen verlieren, offenbart sich ihr wahres Gesicht. In Armenien wie in Kenia verdichten sich derzeit politische Krisen, die exemplarisch zeigen, wie fragile Demokratien auf Druck reagieren – mit Härte statt mit Handreichung.
Armenien: Der Staat schlägt zu – oder verliert die Kontrolle?
Die Festnahme von Bagrat Galstanjan, Erzbischof und Anführer der oppositionellen Bewegung „Heiliger Kampf“, markiert einen dramatischen Wendepunkt in der armenischen Innenpolitik. Die Regierung wirft ihm nichts Geringeres als einen geplanten Staatsstreich vor – basierend auf mutmaßlich abgehörten Telefonaten und dem Vorwurf, paramilitärische Gruppen organisiert zu haben. In einem Rechtsstaat wären solche Vorwürfe ein Fall für transparente Ermittlungen. Doch in Armenien werden sie schnell zur politischen Waffe.
Premierminister Paschinjan steht seit der militärischen Niederlage in Bergkarabach massiv unter Druck. Seine Bemühungen um einen Friedensvertrag mit Aserbaidschan gelten in weiten Teilen der Bevölkerung als Kapitulation. Der Umgang mit Kritikern wie Galstanjan scheint daher weniger durch rechtsstaatliche Prinzipien motiviert zu sein, sondern durch das Bedürfnis, politische Deutungshoheit zu wahren. Die Folge: ein massiver Vertrauensverlust und die weitere Spaltung der Gesellschaft.
Kenia: Wenn die Jugend rebelliert – und der Staat zurückschlägt
Auch in Kenia steht die Legitimität der Regierung auf dem Prüfstand. Ausgerechnet „Generation Z“ – lange Zeit als unpolitisch abgestempelt – hat sich zur Speerspitze des Protests gegen ein System entwickelt, das als korrupt, repressiv und abgehoben gilt. Die geplante Steuerreform war nur der Funke, das Pulverfass war längst voll: hohe Lebenshaltungskosten, Polizeigewalt, und eine politische Elite, die den Bezug zur Realität verloren zu haben scheint.
Die Reaktion des Staates? Brutal. Tränengas, Schüsse, Internetsperren, Medienzensur. Die Proteste forderten Dutzende Verletzte und mehrere Tote – laut Amnesty International und Human Rights Watch ein klarer Verstoß gegen internationale Menschenrechtsstandards. Präsident Ruto spricht von „Sabotage“ – doch die Bilder sprechen eine andere Sprache: von einer jungen, vernetzten Zivilgesellschaft, die sich ihre Zukunft nicht mehr diktieren lassen will.
Strukturelle Parallelen: Kontrolle vs. Teilhabe
Was Armenien und Kenia trotz geografischer Distanz eint, ist ein autoritärer Reflex in Momenten institutioneller Schwäche. Anstatt auf Dialog, Reform oder Transparenz zu setzen, greifen die Regierungen zu altbekannten Mitteln: Festnahmen, Gewalt, Abschottung. Doch diese Strategien greifen ins Leere, wenn die Zivilgesellschaft politisch erwacht ist – und genau das ist in beiden Ländern der Fall.
Politische Legitimität speist sich nicht aus der Kontrolle über Narrative oder dem Gewaltmonopol, sondern aus dem Vertrauen der Bevölkerung. Wer dieses Vertrauen verspielt, steht langfristig nicht vor einem taktischen Problem – sondern vor einem demokratischen Kollaps.