Warum Sportwetten kein harmloses Hobby sind

15 August, 2024

Einführung in die Welt der Sportwetten

Mittwoch Abend, 21 Uhr, Champions League. Tor für dein Team, aber die Führung wackelt. Deine Finger zittern, du gehst nervös in die App. Cash out ziehen, zu spät. Gegentor, verdammt. Jetzt erst recht noch mal was setzen. Du legst das Handy nicht mehr weg, bis der Abpfiff ertönt. Willkommen in der Welt der Sportwetten. Sie sind überall: in unseren Handys, Städten und Stadien.

Grund 1: Unterschätztes Risiko

Mehr als eine Milliarde Euro wurden letztes Jahr in Deutschland verzockt. Jeder zweite Wettkunde zockt so, dass die Alarmglocken schrillen müssten. Trotzdem haben anscheinend die wenigsten Bedenken, einen Schein zu tippen. Wie sind wir da hingekommen? Durch jahrelange Normalisierung.

Es ist gar nicht lange her, da waren nicht-staatliche Sportwetten noch eine Schmuddelangelegenheit. Richtig legal sind sie erst seit 2020. Das könnte für die Anbieter noch Folgen haben. Der Bundesgerichtshof klärt derzeit, ob Anbieter verlorene Einsätze aus unerlaubten Sportwetten ihren Kunden zurückzahlen müssen.

Der Deutsche Sportwettenverband schätzt, dass sich die Wetteinsätze im Jahr 2023 auf rund 8 Milliarden Euro belaufen. Sportwetten gehören irgendwie zum Fußball dazu, auch dank eines cleveren Marketings. Lange Zeit warben manche Anbieter mit Helden des deutschen Fußballs, die sogar noch als Funktionäre und Spieler aktiv waren. Seit 2021 ist das verboten. Werbung an sich jedoch nicht.

Egal ob Sky, ARD oder ZDF, auch rund um die Übertragungen gehören Sportwettanbieter mit ihrer Werbung dazu. Verbunden mit einem kleinen Warnhinweis. Sportwetten sollen aussehen wie Lifestyleprodukte, ein Hobby, wie alles Mögliche, außer Glücksspiel. Die Apps der Anbieter sind clean, die Ansprache freundlich. Hier ein Bonus, da ein Weihnachtsspecial. Und immer wieder das Versprechen: Du hast es raus. Du hast das Wissen.

Grund 2: Die Wettanbieter kennen ihre Kunden

Natürlich sprechen Wettanbieter nicht offen über ihre Vermarktungsstrategie. Doch anscheinend sind zwei Gruppen potenzieller Wettkunden besonders attraktiv. 2021 berichtet der Spiegel, wie die Tipico-Kunden angeblich intern analysiert wurden. Mehr als 50% hatten einen Elternteil, der nicht in Deutschland geboren ist. Ein relativ niedriges Bildungsniveau und eher geringes Einkommen.

Dem Glücksspielforscher Tobias Heyer kommt das bekannt vor. Das sind dann auch nicht ganz zufällig die Risikogruppen, die überdurchschnittlich häufig von problemen betroffen sind. Laut Spiegel zeigt die Analyse, dass Tipico unter Umständen von dieser Standortstrategie profitiert. Tipico distanziert sich jedoch von dieser Marktanalyse und schreibt uns, dass es sich um eine durch ein externes Beratungsunternehmen erstellte Marktanalyse handelt, die im Umfeld des Verkaufs von Tipico im Jahr 2016 entstand.

Schauen wir uns mal an, wie Tipico seine Werbung aufzieht. Schummeriges Licht, martialische Ansprache. Viele Tipico-Clips sehen aus wie Gangsterrap-Videos. Die Protagonisten? Oft junge Männer mit vermeintlichem Migrationshintergrund. Tipico distanziert sich auch hier. Eine gezielte Ansprache dieser Gruppen ist nicht Teil unseres Werbekonzepts.

Die bittere Wahrheit: Menschen mit Migrationshintergrund sind laut Wissenschaft besonders gefährdet, in die Glücksspielsucht abzudriften. Dann ist da noch eine weitere Zielgruppe: Leute, die selbst kicken, egal ob Amateur oder Profi. Ein Beispiel: Am 16. April 2023 spielt Nicolo Faioli von Juventus Turin gegen Sassuolo. Nach einer gegnerischen Ecke macht er einen Fehler. Eins zu null. Er wird sofort ausgewechselt und bricht in Tränen aus. Später stellt sich heraus, dass Faioli spielsüchtig ist und ungeheure Schulden bei illegalen Wettanbietern hat.

Grund 3: Schwache Regeln

Egal ob Profi oder Fan, eigentlich gibt es Regeln, Wettkunden vor dem Absturz zu schützen. Diese Regeln stehen im Glücksspielstaatsvertrag. Da wären zum Beispiel Spielersperren und Einzahlungslimits. Spieler müssen die Möglichkeit haben, die Reißleine zu ziehen und sich selbst zu sperren. Mit einem Panikknopf für 24 Stunden oder über ein zentrales Meldesystem für mindestens drei Monate.

Manche Suchtexperten halten diese Selbstsperren jedoch für zahnlose Tiger, denn nur ein Bruchteil der Betroffenen nutzt sie. Sie reichen schlicht nicht aus. Dann wären da noch die Fremdsperren. Die Idee: Man sperrt Spieler, die online problematisch zocken, mit einem auf Algorithmen basierenden automatisierten System.

Theoretisch ist diese automatisierte Fremdsperre eine gute Sache. In der Praxis gibt es allerdings ein Problem. Die Sperre liegt in der Hand der Anbieter, und die Zahl der Spieler, die tatsächlich gesperrt werden, ist gering. Warum das so ist, liegt auf der Hand: Interessenskonflikte. Wenn ich die besten Kunden vom Spielbetrieb ausschließe, muss ich mit Umsatzeinbußen rechnen, und dazu sind Glücksspielanbieter in aller Regel nicht bereit.

Was ist mit dem Einzahlungslimit? Das liegt bei 1000 Euro im Monat. Mehr darf man nicht einzahlen. Für viele eindeutig zu viel. Trotzdem konnte man in der Vergangenheit viel höhere Beträge einzahlen. Spielsüchtige klagen jetzt. Ein Urteil bekam ein Kunde recht, der innerhalb von zwei Jahren mehr als 137.000 Euro einzahlen und verzocken konnte. Bitter ist, dass der Kläger sein Geld, Stand heute, trotzdem nicht wiedersieht.

Grund 4: Die Branche ist ein mächtiger Player

Die Sportwettenbranche hat nützliche Freunde. Einer der wichtigsten ist gleich ein ganzer Staat: Malta. Malta bietet neben Traumstränden auch niedrige Unternehmenssteuern und gilt als recht entspannt in Fragen der Finanzaufsicht. Hier haben die großen Player ihre Firmensitze. Und Co sind ein echter Wirtschaftsfaktor für Malta. Die Regierung tut offenbar einiges, damit sie sich wohlfühlen.

Der neueste Streich: die Bill 55. Mit diesem Gesetz schützt Malta seine Glücksspielindustrie vor Gerichtsurteilen aus dem Ausland, auch aus Deutschland. Solange das Gesetz gilt, müssen Tipico und Co die deutschen Urteile nicht umsetzen, und die Geschädigten sitzen auf dem Trockenen. So offensichtlich wie in Malta geht es aber selten zu.

In Deutschland fordern Fußballfans schärfere Maßnahmen gegen die Glücksspielindustrie. Auf einem Banner bei Hertha BSC heißt es: “Stell dir vor, Hertha BSC verzichtet auf die schmutzige Sportwettenkohle.” Es passiert allerdings wenig. Die Wettanbieter tun einiges, um sich unverzichtbar zu machen. Ein ordentlicher Teil ihrer Einnahmen fließt direkt zurück ins Fußballbusiness. Tipico ist zum Beispiel Premiumpartner der Bundesliga und des FC Bayern.

Kaum ein Klub, der nicht auf der Payroll der Industrie steht. In der vergangenen Saison waren es nur Union Berlin und RB Leipzig, die nicht mitkassierten. Auch der Staat verdient mit. 409 Millionen Euro Steuern hat die Branche 2023 in seine Kassen gespült. Diese Einnahmen sind zweckgebunden und gehen zum Beispiel in die Förderung von Breitensport.

Für Menschen, die mal spielsüchtig waren oder sind, ist das jedoch kein Argument. Sie wollen mit dem Thema eigentlich gar nichts mehr zu tun haben. Wenn ich Fußball zu Hause schaue und nur Sportwettenwerbung sehe, müsste der DFB und die DFL das massig reduzieren. Betroffene, Wissenschaftler und Initiativen, ja, auch der Suchtbeauftragte der Bundesregierung, wollen härtere Regeln bis hin zu einem absoluten Werbeverbot.

Fazit

Sportwetten haben einen Hype, trotz allem. Die Euro 2024 wird ihnen wohl einen weiteren Push geben. Was ist deine Erfahrung mit Sportwetten? Schreib es uns in die Kommentare. Und wenn Du wissen willst, warum wir auch im Fußball mehr über Doping reden müssen, dann check unser Video “Blackbox Doping”.

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